Tag 5:

Ihr werdet es nicht glauben, aber wir haben es nach einigen Anlaufschwierigkeiten mit der Rakete, doch noch zum Tejo geschafft. Verrückt. So gegen 12 Uhr konnten wir erst starten, aber dann ging es den Berg hinunter und vorbei am Time Out Market, der eigentlich Mercado da Ribeira heißt. Nur am Rande, in Sydney gibt es auch einen Time Out Market – scheint eine Kette zu sein, aber so weit ging meine Rechercheleidenschaft dann doch noch nicht. In der Markthalle wird seit dem 19. Jahrhundert neben frischem Fisch auch Obst und Gemüse verkauft. Und der Markt ist auch bekannt für seinen Blumenmarkt. An diesem Wochenende fand dort ein Food Festival statt. Mit der Rakete kein Vergnügen sich in die langen Schlangen der Essenstände einzureihen. Die nahmhaftesten Köche des Landes haben hier eine kleine Dependence. Es lohnt sich dort was zu probieren

Auf jeden Fall führte uns der Weg entlang der Gleise in Richtung Estacao Cais do Sodré (Hauptbahnhof). Dort sammelt sich alles: Die U-Bahn, die Züge, die Fähren und natürlich auch der Zugang zum Tejo und zur Touristenpromenade. Wir standen endlich am Fluss und staunten nicht schlecht, wie breit ein Fluss sein kann. Von der Elbe waren wir etwas anderes gewohnt. Es ist schon beeindruckend, vor allem hat man sogar ein bisschen das Gefühl, es ist die Meeresbrise, die einem durch das Haar weht. Prompt war ich noch mehr in Urlaubsstimmung und mit dem Wissen, dass wir am nächten Tag mit dem Zug  nach Estoril fahren würden, war ich aufgeregt wie ein kleines Kind an Weihnachten.

Es war unfassbar voll auf der Promenade. Die Touristen pressten sich vorbei an Cafés und Restaurants und man konnte neben Französisch, Spanisch auch jede Menge Deutsch hören. Die Rakete verfolgte aufmerksam das Treiben und war von den Straßenmusikern total angetan. Natürlich packte sie wieder ihr charmantestes Raketenlächeln aus und der Percussion-Spieler war hin und weg. Er nutzte seine Chance und wollte uns eine CD andrehen, doch die Rakete lachte ihn noch ein bisschen an und zack war er uninteressant. Am Sonntag waren knapp 30 Grad. Das hieß, wir waren in Mission Schatten unterwegs. Die Rakete hatte verständlicherweise keine Lust die ganze Zeit in ihrem Buggy zu sitzen, doch leider war es gar nicht so einfach bei dem Gewusel ein geeignetes Plätzchen zu finden.

Kurzerhand verließen wir die Touristenmeile und steuerten die Heimreise an. Über den wunderschönen Praca do Comércio ging es zurück, vorbei am Elevador de Santa Justa – ein eiserner Aufzug, der seit 1901 die beiden Stadtteile Baixa und Chiado miteinander verbindet. Auf der Avenida da Liberdade – die Flaniermeile für gutbetuchte Herrschaften – gibt es jede Menge zu sehen. Neben den chicsten Designerläden finden sich auch verwinkelte Abzweiggässchen, die einem ein ganz anderes Lissabon zeigen. Das alte Lissabon – leider konnten wir den Parque Meyer – die frühere Amüsiermeile der Lisboeten – nur kurz streifen, aber wir kommen wieder, das ist sicher.

Und was für ein Zufall, dass ausgerechnet auf dieser Straße mein absoluter Lieblingsladen liegt. Ich muss gestehen, am Sonntag war mein Geburtstag und ohne mir selbst ein kleines Geschenk zu machen, konnte ich nicht einfach an COS vorbei gehen. Mathias, typisch Mann, war nicht wirklich scharf auf Shopping, also enterten die Rakete und ich den Laden. Ohne Buggy! Die Rakete war meine schärfste Kritikerin und war hauptsächlich damit beschäftigt ihrer Forschungsleidenschaft nachzugehen: „Wie schmeckt denn das Oberteil und der Kleiderbügel in Kombination? Mh, der Rock könnt auch ganz lecker sein…“ Zum Glück amüsierten sich die Verkäuferinnen köstlich über das Tochter-Mama-Gespann und während die Rakete in der Umkleidung auf dem Boden saß und meine Tasche inspizierte, versuchte ich in Windeseile ein paar Sachen zu probieren.

Stolz wie Oskar demonstrierte die Rakete den Verkäuferinnen, dass sie beinahe ohne Hilfe schon stehen kann und strahlte mit dem Spiegel um die Wette. So konnte ich auch einige Sonderwünsche äußern, ohne direkt aus dem Laden katapultiert zu werden.

Die Rakete hatte beim Shoppen echt Spaß, ich kann glaube ich nicht verleugnen, dass diese Kind in diesem Punkt eindeutig nach mir kommt. Da hat sie das eine oder andere Gen dann doch von mir abbekommen, vielleicht in Zukunft zum Leidwesen ihres Vaters. Der saß nämlich während unserer Shoppingtour draußen auf einer Parkbank.

Tag 6:

Am nächsten Tag ging es dann für unsere Verhältnisse ziemlich früh in Richtung Bahnhof. Wir wollten nach Estoril und gingen eigentlich davon aus, dass wir sicher die einzigen wären, die an einem Tag mit 30 Grad auf die Idee kommen, an den Atlantik zu fahren. Genau so war es auch… NICHT!

Wir kamen am Bahnhof an und die Schlangen an den Schaltern waren unfassbar lang. Warum hatten die denn alle Urlaub und warum hatten die denn nicht nur das Wochenende hier verbracht. Wir hatten doch nur die Erlaubnis hier zu sein, sonst niemand… oder so ähnlich, schoss es mir durch den Kopf. Also völliger Quatsch.

Wir reihten uns mit der Rakete in eine Schalterschlange und wieder unterhielt die Rakete die umliegenden Mitreisenden. Yeah! Als wir endlich dran waren, zogen wir nur EINE Karte und hatten für vier Fahrten gelöst. Irgendwie ging es an uns vorbei, dass jeder Reisende eine Karte braucht. Wie die Portugiesen aber sind, musste ich nicht noch mal lösen, sondern der Schaffner ließ mich durch das Tor und alles war gut. Die Portugiesen sind in vielen Dingen irgendwie entspannter… Das würde in Deutschland nur sehr sehr sehr sehr sehr und absolut ausnahmsweise mal gehen und „sagen sie das bloß nicht weiter, sonst kommen noch mehr Touris auf die Idee, sich doof zu stellen“… Zum Glück bricht den Portugiesen da kein Zacken aus der Krone!

Der Zug war mega voll und wirklich niemand bot uns einen Platz an. Es musste erst ein älterer Herr aufstehen, bis sich eine Frau bequemte und der Rakete und mir ihren Platz anbot. Da war für uns klar – das sind alles Touristen. Denn bisher hatten wir die Portugiesen unfassbar kinderlieb und hilfsbereit kennengelernt. Sogar an der Kasse im Supermarkt werden Mütter/Väter mit Kindern / Kinderwägen (gibt es hier verständlicherweise nicht so viele, bei den Bergen) vorgelassen. Schon rein aus Prinzip.

In Estoril angekommen, suchten wir erstmal ein schattiges Plätzchen und fanden es in dem Park gegenüber vom Strand. Der Park führt direkt zum Casino, das auch schon mal bessere Zeiten gesehen hatte. Aber irgendwie hatte der ganze Ort mit dem Strand, der Promenade und den Restaurants ganz schön viel Charme.

Der Atlantik rauschte und die Wellen tosten ein bisschen. Die Füße wollten unbedingt ins Wasser. Also stellte sich die Rakete todesmutig mit mir an den Strand. Gefährlich nah ans Wasser. Sie wollte wissen, wie sich das anfühlt, dieses Meer. Natürlich kam die perfekte Welle. Für die Rakete ging das irgendwie alles zu schnell, war zu nass und überhaupt, wo kam denn das auf einmal her? Begeisterung sieht anders aus, aber wir haben beschlossen, wir geben dem Atlantik noch eine Chance – bei unserem nächsten Trip nach Estoril und Umgebung.

Nach der Mutprobe hatten wir alle ziemlich hunger und steuerten das Restaurant Bolina an. Ein kleines Restaurant, mit unfassbar herzlichen und freundlichen Kellnern. Und wie der Zufall es will, stellte sich heraus, dass die Besitzer Deutsche sind. Natürlich war die Rakete der Türöffner. Sie hatte wieder in die Runde gestrahlt und damit die Herzen erobert. Zack hatte sie eine Handvoll Pommes ohne Salz und frisch gemacht vor sich stehen und nuckelte daran herum. Mathias und ich teilten uns die Venusmuscheln, die unfassbar gut waren und aßen regionalen Fisch, der uns von der Besitzerin empfohlen wurde. Alles in allem hat sich der Ausflug schon alleine wegen des Fisches gelohnt – wir haben wirklich sehr gut gegessen und können das Restaurant nur wärmstens empfehlen.

Die Rakete hatte nach vier Stunden genug und wir traten die Heimreise mit dem Zug an. Wieder war es ein sehr aufmerksamer Portugiese, der mir und der Rakete einen Platz anbot.

Es lässt sich sagen: Estoril hat uns nicht zum letzten Mal gesehen.

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